Montag, 25. Februar 2013


Der Mensch als Objekt der Macht
Schillers Trauerspiel „Don Carlos“ in einer stimmigen Inszenierung im Neustadter Saalbau – Beeindruckende Schauspieler-Leistungen

NEUSTADT. Überaus herzlicher und bemerkenswert langer Schlussapplaus zeigte am Dienstag, dass das Publikum im Neustadter Saalbau mit der Aufführung von Schillers „Don Carlos“ durch die Gastspieldirektion Kempf hochzufrieden war. Eine in sich stimmige, schauspielerisch anspruchsvolle Ensembleleistung war vorausgegangen, in der namentlich Manuel Klein in der Titelpartie wahrhaft glänzte.

„Arm in Arm mit Dir / so fordr’ ich mein Jahrhundert in die Schranken.“ Ein geradezu vermessener Traum: Ich gegen den Rest der Welt, den zwei junge Männer am Ende des ersten Aktes des „Don Carlos“ formulieren. Es sind die gesellschaftlichen Widersprüche seiner Zeit, die wenige Jahre nach der Entstehung des Stücks in die Französische Revolution münden sollten, die der junge Schiller in den Stoff des 16. Jahrhunderts eingetragen hat. Und manche Beschreibung gesellschaftlicher Gegebenheiten, in denen der einzelne Mensch keinen Eigenwert besitzt, sondern nur Objekt der Macht sein darf, erinnert frappant an die heutige Gesellschaftszustände, die Frank Schirrmacher in seinem aktuellen Buch „Kultur des verdeckten Spiels“ kritisiert. Denn vor allem, weil im verdeckten politischen Intrigenspiel am spanischen Hof am Ende keiner mehr so recht weiß, was wahr ist und was nicht, kommen die beiden jungen Männer, Don Carlos, der spanische Thronfolger, und der Marquis von Posa, der politische Aktivist, dem die Freiheit über alles geht, am Ende zu Tode.

Dazwischen spielt dralles Theater, in bemerkenswert unverblasster Sprache, das vor allem deswegen virulent bleibt, weil der Autor sich selbst in die Quere gekommen ist und im Laufe der langen Abfassungsarbeit offenbar auch manche Ansicht verändert hat. Und da jeder Regisseur gezwungen ist, aus der überbordenden Fülle des Dramentextes durch kräftige Striche eine bewältigbare Fassung zu erzeugen, ergeben sich von selbst unterschiedliche Interpretationen. Christoph Brück hat in der Kempf-Inszenierung die Hälfte der Sprechrollen weggelassen und damit den ganzen realistischen Apparat des Stücks demontiert. Übrig bleiben die Kernszenen, die Kernkonflikte des Dramas. Auch sie der notwendigen Kürze halber mit manchem Verlust, etwa in den Vorgeschichten zwischen königlichem Vater und Sohn. Mehr an Verfremdung will der Regisseur nicht.

Man spielt in annähernd historischer, stets schmucker Gewandung zwischen ebenso zweckmäßigen wie dekorativen Versatzstücken im Renaissancestil. Und man spielt gut. Niemals muss man sich ärgern, dass einer der Darsteller mit dem Blankvers – dem fünffüßigen reimlosen Jambus, in den Schiller das zunächst in Prosa geschriebene Stück schließlich umgegossen hat – nicht zurechtkommt. Das ist heute viel. Und immer wenn die großen Ideendialoge anstehen, wachsen die Darsteller, geben dem Geschehen packende Intensität, sprechen pointiert. Hier einzelne Namen hervorzuheben, würde andere ungerechtfertigt zurücksetzen. Einer indes ragt durch kaum übertreffbare Präsenz heraus: Manuel Klein als Carlos. Er hat einen besonderen Sinn für die Kunstform des Verses, weiß mit der Spannung zwischen Sprachrhythmus und Versmaß ungemein klug zu spielen. Auch die nebensächlichste Bemerkung wird, von ihm vorgetragen, zum ästhetischen Vergnügen, und selbst die dramatische Verlegenheit, dass erzählt werden muss, was aus praktischen Gründen nicht auf der Bühne gezeigt werden kann, macht er zum Genuss: Er erzählt mit seinem ganzen Körper, weiß dem Text durch kleine Betonungsnuancen Bedeutungsschichten hinzuzufügen. Die Intrige des vierten und fünften Aktes entwickelt sich mit unerbittlicher Konsequenz. Großartig sind beispielsweise die Szenen zwischen König Philipp und Königin Elisabeth (Wolfgang Grindemann und Sarah-Jane Janson), von schneidender Eindringlichkeit die abschließende Begegnung des Königs – ein ebenso großartig gemachtes wie übel antikatholisches Stück Propaganda – mit dem Großinquisitor (Jörg Reimers, der hier beeindruckend agiert, während er vorher den Pater Domingo eher beiläufig dargestellt hat). Solide der Posa von Julian Weigand. Posa ist von allen Protagonisten am wenigsten ein Mensch mit seinem emotionalen Widerspruch und am meisten eine Ansammlung von Ideen und romantischem Pathos. Viel ließ sich anschließend nachdenken. Das ist mit das Beste, was sich über einen Theaterabend sagen lässt.

Von Roland Happersberger - Die Rheinpfalz, 21.02.2013
 

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