Mittwoch, 20. Februar 2013

Premiere mit Don Carlos (Kempf Theater)


Frischzellenkur für Don Carlos in Bad Kissingen

Die Theatergastspiele Kempf sorgen für einen denkwürdigen Abend. Regisseur Christoph Brück gelingt eine wohltuende Entschlackung des Stückes. Schillers herrliche Sprache blieb dennoch erhalten.
Wolfgang Grindemann als König Philipp II. und sein Sohn Carlos im entscheidenden Gespräch zwischen den Kontrahenten im politischen wie persönlichen Kampf in der Produktion der Theatergastspiele Kempf von Schillers ‚Don Carlos‘ beim Kissinger Theaterring. Foto: Gerhild Ahnert
 
Als Weltgeschichte im Familienformat schrieb Friedrich Schiller 1787 sein Drama ‚Don Carlos‘ . Den ebenso passenden Titel ‚Kabale und Liebe‘ hatte er ja schon an ein früheres Stück vergeben. Obwohl mit Don Carlos‘ Vater Philipp II von Spanien, in dessen Reich die Sonne ja bekanntlich nicht unterging, ein weltbekannter Potentat im Mittelpunkt eines Dramas steht, geht es über weite Strecken über dessen dysfunktionale Familie, die er sich nur nach Gründen der Staatsräson zusammengebastelt hat. Dass er dabei die Verlobte seines Sohnes per Dekret zu seiner Frau und dessen Mutter machte, ist mehr ein interfamiliäres Problem.

Da Schiller mit diesen Privatangelegenheiten am spanischen Königshof auch seine Forschungen zur ‚Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung‘ verknüpfte und Philipps Zeit der Ketzerverbrennungen, Inquisition, und alltäglicher Bespitzelung als Hintergrund für Forderungen nach allgemeinen Menschenrechten und "Gedankenfreiheit" machte, ließ sein Stück für den Theatergänger nur schwer nachvollziehbar und verwirrend werden. Es ist äußerst vielschichtig ob der vielen abgefangenen, missverstandenen Briefe und zahllosen persönlichen Intrigen jedes Protagonisten um das wie ein Fels in der Brandung wirkende einzig lautere Paar Carlos und Elisabeth.

So erwarteten die Besucher des Kissinger Theaterrings wohl eher einen Abend wohlig-musealer Klassikerpflege als die Frischzellenkur, mit deren spannendem und intellektuell wie ästhetisch gleichermaßen goutierbarem Produkt die Theatergastspiele Kempf im Kurtheater aufwarteten. Einen Fiebertraum, bei dem sich Carlos über den Bühnenboden wälzt und sich mit allen berühmten Szenen und Aussprüchen in einer vorweg genommenen Stretta herumschlägt, hatte Regisseur Christoph Brück seiner Inszenierung vorangestellt, doch dann konstatierte Domingo zur großen Erleichterung einiger Zuschauer Schillers berühmten Einstiegssatz: "Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende..." Und damit begann einer der denkwürdigen Theaterringabende, denn obwohl Brück an keiner Stelle historisiert, zitiert die Aufführung historische Kontexte in der Ausstattung von Claudia Weinhart durch die aus Alt und Modern collagierten Kostüme und Raumversatzstücke. Obwohl der Text wohltuend entschlackt und modernem Sprachgebrauch angenähert ist, konnte sich Schillers herrliche Sprache auch ob der Sprechkultur der Darsteller entfalten. Und obwohl die Bühnenmusik (Achim Zeppenfeld) modern ist, die am Schluss verwendete Pistole eindeutig aus unseren Tagen, entstand an keiner Stelle das Gefühl, hier sei etwas in eine nicht passende Zeit geholt, historisch entwurzelt worden.

Hohe Authentizität

Für diese Authentizität waren natürlich zuallererst die glänzend aufspielenden Schauspieler verantwortlich. Manuel Klein spielte seinen Carlos als liebesgebeutelten Zwangsentlobten, der sich wie jeder Stürmer und Dränger mit seinen Gefühlen für seine Ehemalige und den Freiheitskampf der Niederländer im Recht sieht und deshalb weder auf die Abwehrmaßnahmen seiner Nun-Mutter Elisabeth von Valois (Sarah-Jane Janson als würdevolle, in sich ruhende, Carlos Ausbrüche und Phliipps Ansprüche auf sie verstehende Königin) reagiert, noch auf die politischen Schachzüge, in die ihn sein Freund Posa eingeplant hat, adäquat eingehen will und kann. Julian Weigend spielte den Posa mit all der persönlichen Ausstrahlung, die dieser Verschwörer braucht, um sich zwischen dem leichtgläubigen Jugendfreund Carlos und dem von Amts wegen misstrauischen Philipp II. zu bewegen, sie beide auf seine Seite und in sein Vertrauen zu bringen.

Wolfgang Grindemann spielte den mächtigsten Mann seiner Zeit, den in seiner Machtposition völlig vereinsamten Philipp in seiner ganzen Gefährlichkeit, aber auch Bedürftigkeit. Er braucht den von Matthias Horbeit als körperbewussten Kraftprotz gespielten Herzog von Alba und er wirft sich am Ende der Institution in die Arme, die er als die einzig ihm überlegene anerkennt: dem Großinquisitor des Königreichs, dem Jörg Reimers die jovial daherkommende eiskalte Gefährlichkeit eines Geheimdienstbosses gab, während er als minder mächtiger Beichtvater des Königs und Hofintrigant Domingo dessen etwas machtgebremste Minimalversion gab.
Für Schiller hat Philipp so gar nichts von dem Asketen auf dem Escorial, schließlich hält er sich die Prinzessin von Eboli als Geliebte.

Christa Pasch als Eboli und Maya Forster als eigentlich doch nicht so zugängliche Marquisin von Mondecar waren in dieser Inszenierung schon an den Aussparungen in ihren Kostümen erkennbar als verfügbare Frauen, als Gegenbilder zu Elisabeth, die wie eine der tugendhaften Heldinnen des Bürgerlichen Trauerspiels daherkommt. Dieser Riege der Anständigen gehört auch der von Ralf Weikinger als wohlmeinender älterer Freund von Carlos an.

Es war das große Kunststück der Truppe, dass sie all das rüberbrachte und dennoch in der Lage war, die verzwickte Geschichte klar und menschlich mitreißend zu erzählen, dass das Publikum ganz schnell aus der musealen Betrachterposition herauskam und mitging mit dieser spannend präsentierten Geschichte des alten Klassikers Schiller. So gab es bei jedem Vorhang erneut Bravorufe und einen langen und begeisterten Beifall für die Truppe. 
Brillantes Ensemble begeistert in Waldkraiburg bei der Tour-Premiere von Schillers Don Karlos

Intrigen vor Idealen

Mit einer gekonnt zwischen Tradition und Moderne angesiedelten Vorstellung haben die Theatergastspiele Kempf am Sonntag in Wald-kraiburg ihre Tournée-Premiere von Don Karlos gefeiert. Das Publikum im Haus der Kultur quittierte die herausragenden schauspielerischen Leistungen mit anhaltendem Applaus und stehenden Ovationen. Zu Recht.
Macht, Gewalt, Intrigen - und tolle Schauspieler wie Julian Weigend (links) als Marquis von Posa.
© OVB
Macht, Gewalt, Intrigen - und tolle Schauspieler wie Julian Weigend (links) als Marquis von Posa.
Nach der mehrfach ausgezeichneten Umsetzung von "Die Räuber" hat sich Regisseur Christoph Brück mit seinem Ensemble bereits zum zweiten Mal an ein Schiller-Drama gewagt. Dabei ist es sicherlich kein einfaches Unterfangen, einen Bühnenklassiker wie Don Karlos zu inszenieren. Traditionell wirkt schnell altbacken und uninspiriert, während zeitgemäße Adaptionen Gefahr laufen, das Original zu verfälschen und sich in der Abstraktion zu verlieren.
Umso bemerkenswerter ist es, mit welcher Leichtigkeit das komplexe Historiendrama daherkommt. Schillers Stück, im spanischen Königshaus des 16. Jahrhunderts angesiedelt, wartet mit allem auf, was die menschliche Gefühlspalette zu bieten hat - Liebe, Leidenschaft, Machtgier und Gewalt.
König Philipp der Zweite herrscht despotisch über sein Reich, das unter Ausbeutung und Inquisition leidet. Durch sein facettenreiches Spiel gelingt es Wolfgang Grindemann, nicht nur den grausamen Monarchen, sondern auch den vielschichtigen und durch Hofintrigen verunsicherten Menschen dahinter fassbar zu machen.

Die unerfüllte Liebe des Kronprinzen Don Karlos zur eigenen Stiefmutter (Sarah-Jane Janson), die ursprünglich seine Braut war, befeuert den ohnehin schwelenden Vater-Sohn-Konflikt. Die hervorragende Leistung Manuel Kleins in seiner Rolle als zwischen Unentschlossenheit und Leidenschaft hin und her gerissenem Don Karlos wird lediglich übertroffen von Julian Weigend, der den Menschenfreund und Visionär Marquis von Posa mit außergewöhnlicher Bühnenpräsenz ausstattet.
Vergeblich versucht Posa zunächst mit Hilfe von Don Karlos, später indem er Philipp selbst beeinflusst, seine politischen Ideale zu ver-wirklichen: "Geben sie Gedankenfreiheit!" Doch die ehrgeizigen Pläne, unterdrückte niederländische Provinzen zu stärken und humanistische Ideale zu verwirklichen, scheitern letztlich am privaten Kleinkrieg der Mächtigen.
Aus verschmähter Liebe zu Don Karlos verbündet sich Prinzessin Eboli (Christa Pasch) mit Adel und Klerus, die am Hofe des Königs nach Einfluss streben. Gemeinsam schüren sie das Misstrauen des Monarchen gegen Sohn und Ehefrau, das schließlich zum Verhängnis führt. Nach Don Karlos Verhaftung überstürzen sich die Ereignisse und der Marquis von Posa, selbst Teil des höfischen Ränkespiels geworden, opfert sich für seinen Freund und wird erschossen.
Die daraufhin als Höhepunkt des Dramas ausbrechenden Volksunruhen und Gewaltakte begleiten moderne Rockklänge. Haben sie das Stück zuvor durch ihren maßvollen Einsatz aufgelockert und unterstützt, verfehlen sie an dieser Stelle jedoch ihre Wirkung. Das seichte Geplätscher der Popmusik bringt den Klimax nicht zur Geltung und lässt den Aufstand schließlich mehr als Party denn als Massenprotest erscheinen.
Schade, denn bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die historisch orientierten Kostüme und nah am Original gehaltenen Texte sehr gut mit dem blau fluoreszierenden Hintergrund und der sehr basslastigen Musik ergänzt.
Dennoch schließen die grandiosen Schauspieler das Stück fulminant ab. Eindringlich bleibt der letzte Akt in Erinnerung, indem Philipp seine völlige Abhängigkeit von der katholischen Kirche und deren Großinquisitor (ebenfalls brillant: Jörg Reimers) offenbart. Der König überlässt Sohn und Ehefrau der Inquisition und wird selbst zur Marionette der Mächtigsten im Staat.
Insgesamt gelingt den Kempf Theatergastspielen mit dieser Premiere eine würdige wie auch zeitgemäße Inszenierung des Schiller-Klassikers, die sicherlich nicht nur beim Waldkraiburger Publikum für Begeisterung sorgen wird.

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